Sensibel, selbständig & selbstbestimmt

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Laut Forschungsergebnissen verfügen etwa 15-20% der Menschen über ein sensibleres Nervensystem, als die anderen. Der Filter in ihrem Nervensystem, welcher Reize herausfiltert, bevor sie ins Bewusstsein gelangen, ist bei Hochsensiblen weniger stark ausgeprägt. Deshalb sind hochsensible Menschen mit mehr Reizen aus der Innen- und Aussenwelt konfrontiert. Daraus resultiert die schmale Komfortzone, sowie die rasche Überreizung und das lange Nachhallen.

Diese Eigenschaften haben einen grossen Einfluss auf das Leben der Hochsensiblen, insbesondere auch auf das Berufsleben. Aufgrund ihrer Wesenszüge fühlen sich viele hochsensible Menschen in der herkömmlichen Arbeitswelt unzulänglich und sind unzufrieden. Das ist ein wichtiger Grund dafür, weshalb viele Hochsensible den Schritt in die Selbständigkeit wagen. Auf die weiteren Gründe, sowie auf Vor- und Nachteile einer selbständigen Tätigkeit für Hochsensible, werde ich in diesem Artikel näher eingehen.

Foto: Christopher Campbell

Wieso ist die Selbständigkeit für Hochsensible so attraktiv?

Viele Hochsensible träumen von einer selbständigen Tätigkeit, da sich ihre Ansprüche an eine sinnvolle Arbeit, sowie ihre Bedürfnisse am Arbeitsplatz, nicht mit den Bedingungen in der Arbeitswelt vereinbaren lassen:

Im Grossraumbüro ist es zu laut. Unter Beobachtung will gar nichts mehr gelingen. Die fixen Arbeitszeiten passen nicht zum eigenen Rhythmus. Die Fremdbestimmung ist unerträglich. Der Inhalt der Arbeit stimmt nicht mit den eigenen Wertvorstellungen überein.

Es besteht ein grosser Wunsch nach Selbstbestimmung und Freiheit. Der Leistungsdruck und die Ellbogenmentalität sind erdrückend. Die Anerkennung fehlt. Es gibt unlösbare Konflikte im Team oder mit Vorgesetzten. Mobbing (davon sind leider viele Hochsensible betroffen). Dies und vieles mehr, können mögliche Gründe für den Wunsch nach einer selbständigen Tätigkeit sein.

Was spricht für den Schritt in die Selbständigkeit?

Die Gründung eines eigenen Business hat viele Vorteile für Hochsensible:

Man hat flexible, weitgehend selbstbestimmte Arbeitszeiten. Das Arbeitsumfeld ist meistens frei wählbar. Dadurch hat man die grössere Kontrolle über die Reize, denen man ausgesetzt ist. Ausserdem verfügt man über die freie Gestaltungsmöglichkeit der Arbeitsinhalte.

Die eigenen, oft hohen Ansprüche an Werte und Sinn bei der Arbeit sind eher erfüllbar, als in einem Angestelltenverhältnis. Nicht zuletzt geniesst man einen hohen Grad an Selbstbestimmung und Freiheit.

Die Selbstbestimmung und die Sinnhaftigkeit der Arbeit sind elementar für die Zufriedenheit am Arbeitsplatz, insbesondere für hochsensible Menschen.

Foto: Alex Blajan

10 Eigenschaften, die Hochsensible zur Gründung befähigen:

Folgende Eigenschaften werden oft hochsensiblen Menschen zugesprochen. Selbstverständlich verfügt jeder Mensch noch über besondere charakteristische Talente. Aber es gibt einige Fähigkeiten, die beim Schritt in die Selbständigkeit hilfreich sind. Unter anderem, die Folgenden:

  • Pflichtbewusstsein und Gewissenhaftigkeit

  • Zuverlässigkeit

  • Empathie: Fähigkeit sich in Kunden einzufühlen, das Bedürfnis helfen zu wollen

  • Hohe Selbstmotivation bei sinnstiftender Arbeit

  • Eigeninitiative

  • Kreativität und Phantasie: Ideenreichtum

  • Perfektionismus

  • Wissbegierde und Lernbereitschaft

  • Visionäres Denken und Intuition: Erkennen von zukünftigen Problemen und Bedürfnissen

  • Selbstreflektion

Der Umgang mit Herausforderungen will gelernt sein

Einer der grössten Nachteile ist die Unsicherheit der Existenzgrundlage. Hochsensible Menschen haben oft einen grossen Wunsch nach Sicherheit, der sich mehr schlecht als recht mit einer selbständigen Tätigkeit vereinbaren lässt. Deshalb tauchen oft Existenzängste auf. Diesen Ängsten kann man mit einem Sicherheitspolster auf dem Konto, oder einer schrittweisen Einführung der Selbständigkeit entgegen wirken. Mit einem „Brotjob“ neben der Berufung hat man zumindest zu Beginn noch eine Art Sicherheitsnetz.

Der Wettbewerbsdruck und die Konkurrenz sind oft nicht ganz einfach zu stemmen. Entweder man sucht sich eine Nische, die noch niemand anderes entdeckt hat, oder man lebt damit. Diese Konkurrenzkämpfe hat man ja als Angestellte oft auch. Am besten lässt man sich gar nicht darauf ein, sondern zieht einfach sein Ding durch, ohne sich ständig mit anderen zu vergleichen und zu messen.

“Als Selbständige muss man sich deshalb bewusst Freiräume schaffen.”

Foto: Haley Phelps

Vielen Hochsensiblen bietet die Preisgestaltung Schwierigkeiten. Das hat häufig etwas mit dem Selbstwertgefühl zu tun, mit dem Wert, den man sich selbst gibt. Man hat das Gefühl das Produkt oder die Dienstleistung sei zu wenig gut, um anständig honoriert zu werden. Hier ist es wichtig, am Selbstwertgefühl zu arbeiten.

Marketing und Networking können ebenfalls sehr herausfordernd sein. Man muss sich zeigen und die eigene Arbeit präsentieren. Das fällt vielen nicht leicht. Insbesondere, da ein grosser Teil der hochsensiblen Menschen introvertiert ist. Aber es fällt leichter, wenn man voll und ganz hinter seiner Arbeit stehen kann und sein Business mit viel Herzblut betreibt. Ausserdem kann man, dank moderner Medien, viel davon übers Internet machen, was leichter fällt, als im direkten Kontakt.

Man hat nie offiziell Feierabend. Als Selbständige muss man sich deshalb bewusst Freiräume schaffen. Ausserdem haben Hochsensible oft sowieso nach Feierabend noch ihre Arbeit im Kopf, studieren an Problemen herum oder der abschätzige Blick der Teamkollegin hallt noch nach. Feierabend hat man dann, wenn man ihn sich bewusst schafft, ob angestellt oder selbständig.

Fazit

Erfahrungswerte zeigen, dass Hochsensible als Selbständigerwerbende oft zufriedener sind mit ihrer Arbeit. Allerdings bedarf es einer entwickelten Persönlichkeit, einem Bewusstsein für die eigene Veranlagung und den passenden Strategien im Umgang damit. Um dies zu erlangen sollte man vor allem ehrlich mit sich selber sein.

Man sollte bereit sein, an sich zu arbeiten und auch die eigene Komfortzone ab und zu mal verlassen. Durchhaltevermögen und das grössere Ziel, die Vision, immer im Blick zu haben, helfen dabei, auch Durststrecken zu überstehen.

Damit wünsche ich allen Gründerinnen von Herzen viel Erfolg und vor allem Freude auf ihrem Weg.

Artikelfoto: Alexander Solodukhin

Autorin

Eva-Maria Bläsi ist Onlinecoach für Hochsensible. Mehr dazu unter: www.praxisblaesi.ch Sie ist selbst hochsensibel, mag Bücher, die Natur und unkonventionelle Lebenswege. Auf ihrem Blog www.hochsensiblerblog.wordpress.com schreibt sie über verschiedene Themen rund um das hochsensible Leben und Erleben.

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2 comments
  1. Liebe Frau Bläsi, vielen Dank für den Artikel und die vielen guten Anregungen darin. Ich bin selbst hochsensibel und möchte mich gern auf den Weg in die berufliche Selbstständigkeit machen. Solche Infos sind mir daher immer willkommen. Bei meiner Online-Recherche bin ich auf Amazon auf das Buch “Hochsensibilität und die berufliche Selbstständigkeit” von Sandra Tissot gestoßen. Wissen Sie, ob ich darin auch Praxistipps finden kann? Liebe Grüße Holger

    1. Hallo Holger, vielen Dank für Ihren netten Kommentar!
      Das Buch von Frau Tissot erscheint meines Wissens nach erst im Januar 2017. Deshalb kenne ich es auch noch nicht. Laut der Beschreibung findet man darin aber durchaus auch Praxistipps. Ich weiss nicht zu welchen konkreten Themen oder Fragen Sie Praxistipps brauchen. Aber folgende Bücher beinhalten auch Kapitel und viele Tipps zur beruflichen Selbständigkeit für Hochsensible: “sensibel kompetent” von Marianne Skarics, “Leise überzeugen” von Nathalie Schnack und “ethisches Marketing” von Susanne Rupprecht und Georg Parlow.
      Ich wünsche Ihnen alles Gute auf Ihrem Weg in die berufliche Selbständigkeit!
      Beste Grüsse,
      Eva-Maria Bläsi

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